Bei einem Kettenauffahrunfall kommt ein Anscheinsbeweis für eine schuldhafte Verursachung des Heckaufpralls durch den letzten in der Kette auffahrenden Verkehrsteilnehmer nur dann in Betracht, wenn feststeht, dass das ihm vorausfahrende Fahrzeug des Geschädigten rechtzeitig hinter seinem Vordermann zum Stehen gekommen ist und nicht durch einen Aufprall auf das vorausfahrende Fahrzeug den Bremsweg des ihm folgenden Fahrzeugs verkürzt hat (Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 06.02.2014, 6 U 101/13).
In dem der Entscheidung zugrunde Rechtsstreit stritten zwei Unfallbeteiligte über ihren jeweiligen Verschuldensgrad bei einer Massenkarambolage. Die Beklagte war in den vor ihr fahrenden PKW des Klägers geprallt. Dieser verlangte Ersatz des Heckschadens an seinem Fahrzeug in voller Höhe. Der Kläger führte aus, sein eigenes Fahrzeug wiederum sei erst durch den Aufprall von hinten mit dem vor ihm fahrenden Wagen kollidiert.
Die Richter des Oberlandesgerichts Hamm kamen allerdings zu einer Haftungsteilung. Sie führten aus, dass in diesem Fall der Beweis des ersten Anscheins nicht greifen würde weil der der typische Geschehensablauf, wie er bei Auffahrunfällen normalerweise anzunehmen sei, nicht vorläge. Für das Gericht stand nämlich nicht fest, ob das Fahrzeug des Klägers tatsächlich rechtzeitig abgebremst habe und erst durch die von hinten kommende Kollision mit dem Vordermann des Klägers kollidiert sei, oder ob nicht vielmehr der Kläger zunächst seinem Vordermann aufgefahren sei, wodurch sich der Bremsweg für die Beklagte so sehr verkürzt hätte, dass ihr aus ihrem eigenen Auffahren kein Vorwurf zu machen wäre. Daher müsse die Haftungsquote anhand der gleich hohen Betriebsgefahr der Fahrzeuge festgelegt werden. Im Ergebnis konnte der Kläger so nur die Hälfte des ihm entstandenen Heckschadens von der Beklagten ersetzt verlangen (Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 06.02.2014, 6 U 101/13).